Zeitschriftenartikel

 

Mythos Star Trek; 3/96; 4/96
Amnesty International; 7/96
Tatoos; 10/96
Piercing; 2/97
Anthroposophie; 3/97
Sanfter Tourismus; 7/97
Loveparade; 8/97
Beatles; 8/97, 9/97
Documenta X; 9/97
Krieg im Kinderzimmer; 2/98


Tatoo -
Kunst die unter die Haut geht
In der warmen Jahreszeit sieht man sie wieder häufiger: Menschen mit Tätowier ungen auf der Haut. Die Motive sind phantasievoll, bedeutsam für den Träger. Die kleine Rose auf der Schulter, fantastische Figuren auf dem Rücken, Daten, Ereignisse: alles läßt sich in Farbe auf der Haut festhalten.

Es gibt Leute, die haben sich fast ihren ganzen Körper tätowieren lassen. Dahinter steckt dann eine eigene Lebensanschauung: tatoos werden als Kunst betrachtet. Der Tätowierer ist der Künstler, der wie ein Maler ein Bild schafft, allerdings mit Tätowiergerät und Farbe direkt unter die Haut.
Entsprechend schwierig ist die Wahl des Motives. Irgendeine Bedeutung sollte es schon haben, denn der Tätowierte wird das Bild sein Leben lang behalten. Die Gründe für tatoos sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie tragen: Vorliebe für diese Art der Kunst, Schmuck, der bleibt, den man niemandem mehr nehmen kann, - es sei denn, in einer aufwendigen Operation. Abgrenzung gegen alle “Normalen”, die nicht tätowiert sind: das tatoo als sichtbares Zeichen des Andersseins.Wer sich tätowieren läßt, möchte damit etwas aussagen, möchte sich abgrenzen. Die meisten, die es tun, finden es einfach nur schön. Manche finden es chic, tätowiert zu sein. Das tatoo ist zur Modeerscheinung geworden. Läden, in denen man sich tätowieren lassen kann, haben großen Zulauf. Das tatoo ist auf dem Weg, sein Randgruppendasein zu verlassen, und auch für den sogenannten Normalbürger jeden Alters und aus jeder Gesellschaftsschicht interessant zu werden. Ein neuer Trend also? Eigentlich nicht: Täto wierungen gab es schon immer.
Der Mensch der Frühzeit schmückte seinen Körper auch auf diese Weise, nur kamen den Körperzeichen bestimmte Bedeutungen wie etwa Stammeszugehörigkeit zu.
Auch die frühen Christen trugen Hautzeichen: die Christusinitialen, Lamm, Fisch oder Kreuz auf Stirn oder Handgelenk. Es ist aber nicht sicher, ob es wirklich Nadeltätowierungen waren, oder eher im nachhinein gefärbte Brandmarken. Damit wurden die ersten Christen wegen ihres Glaubens gekennzeichnet, um sie aus der Gesellschaft auszustoßen. Die Christen begriffen diese Zeichen dann aber als Zugehörigkeitszeichen, die zeigten, daß man für seinen Glauben einstand, und behielten sie bei. Erst als die Kirche gefestigt war, geriet die Tätowierung in Verruf und wurde verboten. Nur Christen, die in der Diaspora lebten, behielten die Tätowierung als Zeichen der Glaubenszugehörigkeit bei. Die koptischen Christen in Ägypten grenzen sich mit einem Kreuz auf der Innenseite des rechten Handgelenkes bis heute gegen den Islam ab.
Auf der anderen Seite standen tatoos immer für das Wilde, Unzivilisierte. Bekannt waren sie eigentlich schon immer, nur gesprochen wurde nicht darüber.
Das liegt daran, daß lange Zeit das passende Wort für diese Art des Körperschmucks fehlte. Erst als Kapitän Cook im Jahre 1774 von einer Südseeexpedition einen Einheimischen mitbrach te, der am ganzen Körper tätowiert war, war die Bezeichnung gefunden: “tatau“ bedeutet auf tahitianisch “die Haut ritzen”. Damit war in Europa das Wort tatoo geboren, und fortan konnte man über die Sache sprechen.
Natürlich galten tatoos immer als fremd und ausgefallen. Tätowierte wurden ausgestellt, und auf Jahrmärkten herumgezeigt. Von Zeit zu Zeit erlebte das tatoo einen Aufschwung und wurde in breiteren Kreisen zur Modeerscheinung.
Daneben ist das tatoo immer ein Gruppenzeichen gewesen. Nicht zufällig ließen sich Seeleute oder Soldaten tätowieren. Auch im kriminellen Milieu findet man tatoos häufiger als anderswo. Womit nicht gesagt ist, daß jeder Tätowierte einer Randgruppe angehört. Der Hauch des Exotischen ist allemal geblieben. Tatoos kennzeichnen den Menschen, heben ihn von der großen Masse ab. Darin liegt heute der Grund für viele, sich tätowieren zu lassen. Ein wenig Exzentrik, etwas anders sein, nicht ganz so brav wie die meisten. Allerdings entspringt der Wunsch nach einem tatoo kaum einer jugendlichen Laune. Der Entschluß, sich auf diese Weise zeichnen zu lassen muß wohl überlegt sein, denn er ist endgültig. Schließlich waren Tätowierungen nicht immer die freiwillige Entscheidung des Betreffenden. Hautzeichnungen waren auch politische Mittel. Mal dessen, der mit seinem Hautbild gegen eine Macht protestieren wollte, mal Mittel des Machtapparats selbst. Die jüngere deutsche Geschichte bietet ein gutes Beispiel: Häftlinge in Konzentrationslagern des Dritten Reiches wurden Nummern in den Arm tätowiert. Über lebende des Naziregimes tragen sie bis heute. Das tatoo ist eine alte Kulturerrungenschaft des Menschen. Es diente und dient zur Ausgrenzung oder als Zeichen der Zusammengehörigkeit. Es kann eine Aussage vermitteln und spiegelt die Lebenseinstellung des Einzelnen wieder. Zwar erlebt das tatoo hin und wieder einen Aufschwung, wird beliebter in der breiten Masse, doch es ist Vorsicht geboten: ein Trend ist nur von kurzer Dauer. Das tatoo bleibt fürs Leben.

Ute Izykowski
Die Glocke, 10/96

 

 
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