Zeitschriftenartikel

 

Mythos Star Trek; 3/96; 4/96
Amnesty International; 7/96
Tatoos; 10/96
Piercing; 2/97
Anthroposophie; 3/97
Sanfter Tourismus; 7/97
Loveparade; 8/97
Beatles; 8/97, 9/97
Documenta X; 9/97
Krieg im Kinderzimmer; 2/98


Krieg im Kinderzimmer -
Gewalt in Computerspielen
Werde ich aggressiv, weil ich gelegentlich einen Computergegner ins Jenseits befördere? Neige ich zu Gewalttätigkeiten, wenn ich einen virtuellen Feind erschieße, oder mit meinem mühsam erbeuteten Superturboschwert ein zweiköpfiges Monster niedermetzele? Gewalt im Computerspiel ist ja heutzutage wirklich ein ernstzunehmendes Problem.

Das Geschäft mit Hardware und Software boomt wie nie zuvor, der PC wird auf absehbare Zeit in keinem Haushalt mehr fehlen. Multimedia ist ein geflügeltes Wort, und Kinder wachsen heute ganz selbstverständlich in die schöne neue Medienwelt hinein. Computerspiele werden immer beliebter, und der PC, ursprünglich n u r zum Arbeiten und Lernen angeschafft, dient immer häufiger auch der Freizeitgestaltung. Der Spielemarkt ist unüberschaubar, und man sieht nicht jedem Spiel auf den ersten Blick an, was eigentlich dahintersteckt. Besorgte Eltern sind ratlos, wenn sie dem Nachwuchs beim Ballerspiel im Kinderzimmer über die Schultern gucken, und sie fragen sich, was sie in der Erziehung wohl falsch gemacht haben. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat alle Hände voll zu tun, nicht nur Videos und Bücher, sondern auch Computer- und Videosoftware auf Jugendtauglichkeit zu testen. Kontrolle ist sicher wichtig und sinnvoll, doch das ist nur eine Seite der Medaille. Schließlich gibt es das Internet, in dem der erfahrene Surfer alles findet, was das Herz begehrt. Davon abgesehen, gerade die Anziehungskraft von indizierter Software ist nicht zu unterschätzen. Das Spiel selbst würde einen ja gar nicht interessieren, aber der Reiz des Verbotenen lockt eben doch. Damit soll nicht gesagt sein, daß brutale Spiele für Kinder und Jugendliche frei zugänglich sein sollen. Spiele wie Doom oder Quake gehören einfach nicht in die Hände von Jugendlichen. Aber in solchen Extremen wollen wir uns gar nicht bewegen. Wie sieht es denn mit den tatsächlich im Handel frei verkäuflichen Computerspielen aus?
Gut, es gibt reine Knobel -oder Geschick- lichkeitsspiele, hervorragend dazu geeignet, nach dem Einschalten des PCs ersteinmal die Gehirnzellen warmlaufen zu lassen.
Jump’n Run und Sportspiele aller Art trainieren Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen. Simulationsspiele sind vergleichsweise gewaltfrei. SimCity läßt grüßen, und wer gerne tüftelt und kalkuliert, hat bestimmt seinen Spaß an Wirtschaftssimulationen.Trockenübungen für zukünf tige Betriebswirte. Doch Moment mal, da gibt’s doch noch anderes: Ballerspiele, Strategiespiele, Adventures, Rollenspiele, und wie sie alle heißen. Finden wir hier die Gewalt, die wir suchen, oder ist alles eitel Sonnenschein? Nette Monster, die mit den Helden zusammen einen Plausch halten und nichts Übles im Sinn haben? Wie langweilig! Warum überhaupt Monster? Warum Feinde? Ganz einfach: In den allermeisten Spielen wird im Laufe der Zeit ein Handlungsstrang entwickelt. Die Handlung wird umso interessanter, je mehr Hindernisse sich der Spielfigur in ihrer Computerwelt entgegenstellen. Man hat eine Mission zu erfüllen, Aufgaben und Rätsel zu lösen. Blöderweise ist die Spielwelt von Geschöpfen bevölkert, die nichts Besseres zu tun haben, als den Spieler an seinem höchst ehrenvollen Vorhaben zu hindern. Das steigert die Spannung, -ehrlich! Ganz unblutig kann man sich da nicht immer aus der Affaire ziehen. Aber wohlgemerkt, es handelt sich bloß um Pixelblut. Hinterläßt zumindest keine Flecken auf dem Teppich.
Gewalt im Computerspiel: wer danach sucht, findet sie überall. Wer kennt nicht die legendären Siedler II ? Ein empfehlenswertes Spiel, schon deshalb, weil man es nicht nach einem Durchlauf ins Regal stellt, weil man die Handlung kennt und sich langweilt. Kann man immer wieder spielen, bloß, - so ganz ohne Gewalt geht es auch hier nicht. Die ganze putzige Geschäftigkeit der kleinen blauen Männchen auf dem Bildschirm dient letztendlich nur dem Zwecke der Eroberung anderswärtig bevölkerter Landschaften. Für Kinder ab sechs Jahren geeignet, steht auf der Packung. Doch wenn man alles so schrecklich eng sehen würde, müßte man auch Schachspielen als feudalistische Kriegssimulation verbieten.
Außerdem hat es den Anschein, daß Jugendliche gar nicht so unkritisch sind. Das Jugendamt Leipzig hat ein Projekt durchgeführt, in dem Jugendliche im Alter von 11-16 Jahren Spiele testen sollten. Da wurde dann das Strategiespiel KKND (Krush Kill’n’ Destroy), in dem es in bester Warcraftmarnier darum geht, nach der nuklearen Katastrophe Mutanten zu bekämpfen, als empfehlenswert eingestuft. Command & Conquer II hingegen, das zugegebenermaßen eine riesige Fangemeinde besitzt, fand zumindest bei diesem Leipziger Projekt keinen Anklang unter den Jugendlichen, die absolut keine Lust haben, den zweiten Weltkrieg nachzuspielen. Tomb Raider, eine Mischung aus Action und Adventure oder Mechwarrior, ein futuristisches Kampfspiel, fanden größten Anklang. Kann es sein, daß Kinder und Jugendliche sehr gut zwischen Fiktion im Spiel und Realität unterscheiden können? Daß sie einfach nur ihren Spaß haben wollen? Ich denke schon. Auch ist es keineswegs so, daß junge Leute den größten Teil ihrer Freizeit vor dem Computer verbringen. Eine Fragebogenaktion des Instituts für Entwicklungs- und Sozialpsychologie in Düsseldorf brachte zutage, daß andere Freizeitbeschäftigungen wie Freunde treffen, Sport oder Fernsehen weit höher im Kurs stehen als Computerspielen.
Computerspiele bringen also Spaß. Steigern nun aber Gewaltszenerien in Computerspielen die Gewaltbereitschaft des Spielers/der Spielerin? Diese Frage kennt man im Zusammenhang mit einem anderen Medium: dem Fernsehen.
Wird man gewalttätig, wenn man Gewaltdarstellungen anschaut? Die Antwort: ja und nein. Die Auswirkungen sind individuell verschieden und hängen in Wirklichkeit von sehr vielen anderen Faktoren ab: Persönlichkeit des Einzelnen, soziales Umfeld, familiere Bedingungen, Lebensumstände. Davon abgesehen, die Gefahr, daß der eine oder andere nach dem Sehen eines Horrorschinkens sofort zur Kettensäge greift und den nächstbesten Passanten massakriert, ist verschwindend gering. Das Problem liegt dann doch eher in der zunehmenden Desensibilisierung gegenüber Gewalt. Mit einfachen Worten: auch an Gewaltdarstellungen kann man sich gewöhnen. Der Tote im Film schreckt nicht mehr. Schon bald auch nicht mehr die wirkliche Katastrophen in den Nachrichten, und irgendwann läßt einen auch tatsächlich gesehene Gewalt auf der Straße kalt. Nicht Aggression, sondern Gleichgültigkeit ist meistens die Folge von Fernsehgewalt. Das passiert ganz leise und unbemerkt.
Und wie verhält es sich mit Computerspielen? Der Unterschied zum Fernsehen ist offensichtlich: dort konsumiert man als Zuschauer, im Spiel wird man selbst aktiv. Man entscheidet, ob, wann und wie man einen Gegner zur Strecke bringt, - vorausgesetzt, man wird nicht aus dem Hinterhalt überrascht. Ein kleiner Klick mit der Maus und die Sache ist vollbracht. Was nicht ohne weiteres als verwerflich zu werten ist. Der erfahrene Adventureheld wird niemanden aus bloßer Lust um die Ecke bringen. Fast immer bestimmt eine höchst ehrenhafte Aufgabe sein Tun. Hoffe ich zumindest. Im Fernsehen geht es oft schlimmer zu, und man ist gezwungen, hilflos zuzuschauen.
Die Wissenschaft weiß übrigens nicht genau, wie sich nun Gewalt im Computerspiel auswirkt, wenngleich es viele Theorien darüber gibt. Zweierlei ist aber wichtig: der Computer ist nur eines unter vielen Medien, die uns tagtäglich beeinflussen. Und dann wirkt jedes Medienangebot auf jedes Individuum anders. Daß jemand alleine durch ein Computerspiel zu plötzlicher Gewalttätigkeit neigt, ist so gut wie ausgeschlossen. Besorgte Eltern und Pädagogen tun gut daran, sich weniger zu sorgen, als sich vielmehr einmal selbst mit der Materie zu befassen. Die Düsseldorfer Studie zeigte übrigens auch, daß Eltern nicht die Hauptansprechparter in Sachen Computerspiele sind. Warum eigentlich nicht? Liegt’s vielleicht am fehlenden Know How? Spielen macht Spaß, in jedem Alter, wirklich! Eine Grenze gibt es allerdings: der Aufbau von Feindbildern, Rassismus, Gewaltverherrlichung, Diskriminierung. Der verantwortungsbewußte Spieler tut sich so etwas ohnehin nicht an und läßt die Finger von solchen Machwerken. Genug der schönen Worte. Ich habe noch anderes zu tun. Die Welt von Anno 1602 will besiedelt werden, und nebenbei wird es höchste Zeit, das Lands of Lore II- Königreich zu retten und mich von einem bösen Fluch zu befreien.
Übrigens, wirkliche Konflikte löse ich nach wie vor lieber mit Worten.

Ute Izykowski.
Die Glocke,2/98

 

 
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