Krieg im Kinderzimmer -
Gewalt in Computerspielen
Werde ich aggressiv, weil ich gelegentlich einen Computergegner
ins Jenseits befördere? Neige ich zu Gewalttätigkeiten, wenn
ich einen virtuellen Feind erschieße, oder mit meinem mühsam
erbeuteten Superturboschwert ein zweiköpfiges Monster niedermetzele?
Gewalt im Computerspiel ist ja heutzutage wirklich ein ernstzunehmendes
Problem.
Das Geschäft mit Hardware und Software boomt wie nie zuvor, der
PC wird auf absehbare Zeit in keinem Haushalt mehr fehlen. Multimedia
ist ein geflügeltes Wort, und Kinder wachsen heute ganz selbstverständlich
in die schöne neue Medienwelt hinein. Computerspiele werden immer
beliebter, und der PC, ursprünglich n u r zum Arbeiten und Lernen
angeschafft, dient immer häufiger auch der Freizeitgestaltung. Der
Spielemarkt ist unüberschaubar, und man sieht nicht jedem Spiel
auf den ersten Blick an, was eigentlich dahintersteckt. Besorgte Eltern
sind ratlos, wenn sie dem Nachwuchs beim Ballerspiel im Kinderzimmer
über die Schultern gucken, und sie fragen sich, was sie in der Erziehung
wohl falsch gemacht haben. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften hat alle Hände voll zu tun, nicht nur Videos und Bücher,
sondern auch Computer- und Videosoftware auf Jugendtauglichkeit zu testen.
Kontrolle ist sicher wichtig und sinnvoll, doch das ist nur eine Seite
der Medaille. Schließlich gibt es das Internet, in dem der erfahrene
Surfer alles findet, was das Herz begehrt. Davon abgesehen, gerade die
Anziehungskraft von indizierter Software ist nicht zu unterschätzen.
Das Spiel selbst würde einen ja gar nicht interessieren, aber der
Reiz des Verbotenen lockt eben doch. Damit soll nicht gesagt sein, daß
brutale Spiele für Kinder und Jugendliche frei zugänglich sein
sollen. Spiele wie Doom oder Quake gehören einfach nicht in die
Hände von Jugendlichen. Aber in solchen Extremen wollen wir uns
gar nicht bewegen. Wie sieht es denn mit den tatsächlich im Handel
frei verkäuflichen Computerspielen aus?
Gut, es gibt reine Knobel -oder Geschick- lichkeitsspiele, hervorragend
dazu geeignet, nach dem Einschalten des PCs ersteinmal die Gehirnzellen
warmlaufen zu lassen.
Jump’n Run und Sportspiele aller Art trainieren Geschicklichkeit
und Reaktionsvermögen. Simulationsspiele sind vergleichsweise gewaltfrei.
SimCity läßt grüßen, und wer gerne tüftelt
und kalkuliert, hat bestimmt seinen Spaß an Wirtschaftssimulationen.Trockenübungen
für zukünf tige Betriebswirte. Doch Moment mal, da gibt’s
doch noch anderes: Ballerspiele, Strategiespiele, Adventures, Rollenspiele,
und wie sie alle heißen. Finden wir hier die Gewalt, die wir suchen,
oder ist alles eitel Sonnenschein? Nette Monster, die mit den Helden
zusammen einen Plausch halten und nichts Übles im Sinn haben? Wie
langweilig! Warum überhaupt Monster? Warum Feinde? Ganz einfach:
In den allermeisten Spielen wird im Laufe der Zeit ein Handlungsstrang
entwickelt. Die Handlung wird umso interessanter, je mehr Hindernisse
sich der Spielfigur in ihrer Computerwelt entgegenstellen. Man hat eine
Mission zu erfüllen, Aufgaben und Rätsel zu lösen. Blöderweise
ist die Spielwelt von Geschöpfen bevölkert, die nichts Besseres
zu tun haben, als den Spieler an seinem höchst ehrenvollen Vorhaben
zu hindern. Das steigert die Spannung, -ehrlich! Ganz unblutig kann man
sich da nicht immer aus der Affaire ziehen. Aber wohlgemerkt, es handelt
sich bloß um Pixelblut. Hinterläßt zumindest keine Flecken
auf dem Teppich.
Gewalt im Computerspiel: wer danach sucht, findet sie überall. Wer
kennt nicht die legendären Siedler II ? Ein empfehlenswertes Spiel,
schon deshalb, weil man es nicht nach einem Durchlauf ins Regal stellt,
weil man die Handlung kennt und sich langweilt. Kann man immer wieder
spielen, bloß, - so ganz ohne Gewalt geht es auch hier nicht. Die
ganze putzige Geschäftigkeit der kleinen blauen Männchen auf
dem Bildschirm dient letztendlich nur dem Zwecke der Eroberung anderswärtig
bevölkerter Landschaften. Für Kinder ab sechs Jahren geeignet,
steht auf der Packung. Doch wenn man alles so schrecklich eng sehen würde,
müßte man auch Schachspielen als feudalistische Kriegssimulation
verbieten.
Außerdem hat es den Anschein, daß Jugendliche gar nicht so
unkritisch sind. Das Jugendamt Leipzig hat ein Projekt durchgeführt,
in dem Jugendliche im Alter von 11-16 Jahren Spiele testen sollten. Da
wurde dann das Strategiespiel KKND (Krush Kill’n’ Destroy),
in dem es in bester Warcraftmarnier darum geht, nach der nuklearen Katastrophe
Mutanten zu bekämpfen, als empfehlenswert eingestuft. Command &
Conquer II hingegen, das zugegebenermaßen eine riesige Fangemeinde
besitzt, fand zumindest bei diesem Leipziger Projekt keinen Anklang unter
den Jugendlichen, die absolut keine Lust haben, den zweiten Weltkrieg
nachzuspielen. Tomb Raider, eine Mischung aus Action und Adventure oder
Mechwarrior, ein futuristisches Kampfspiel, fanden größten
Anklang. Kann es sein, daß Kinder und Jugendliche sehr gut zwischen
Fiktion im Spiel und Realität unterscheiden können? Daß
sie einfach nur ihren Spaß haben wollen? Ich denke schon. Auch
ist es keineswegs so, daß junge Leute den größten Teil
ihrer Freizeit vor dem Computer verbringen. Eine Fragebogenaktion des
Instituts für Entwicklungs- und Sozialpsychologie in Düsseldorf
brachte zutage, daß andere Freizeitbeschäftigungen wie Freunde
treffen, Sport oder Fernsehen weit höher im Kurs stehen als Computerspielen.
Computerspiele bringen also Spaß. Steigern nun aber Gewaltszenerien
in Computerspielen die Gewaltbereitschaft des Spielers/der Spielerin?
Diese Frage kennt man im Zusammenhang mit einem anderen Medium: dem Fernsehen.
Wird man gewalttätig, wenn man Gewaltdarstellungen anschaut? Die
Antwort: ja und nein. Die Auswirkungen sind individuell verschieden und
hängen in Wirklichkeit von sehr vielen anderen Faktoren ab: Persönlichkeit
des Einzelnen, soziales Umfeld, familiere Bedingungen, Lebensumstände.
Davon abgesehen, die Gefahr, daß der eine oder andere nach dem
Sehen eines Horrorschinkens sofort zur Kettensäge greift und den
nächstbesten Passanten massakriert, ist verschwindend gering. Das
Problem liegt dann doch eher in der zunehmenden Desensibilisierung gegenüber
Gewalt. Mit einfachen Worten: auch an Gewaltdarstellungen kann man sich
gewöhnen. Der Tote im Film schreckt nicht mehr. Schon bald auch
nicht mehr die wirkliche Katastrophen in den Nachrichten, und irgendwann
läßt einen auch tatsächlich gesehene Gewalt auf der Straße
kalt. Nicht Aggression, sondern Gleichgültigkeit ist meistens die
Folge von Fernsehgewalt. Das passiert ganz leise und unbemerkt.
Und wie verhält es sich mit Computerspielen? Der Unterschied zum
Fernsehen ist offensichtlich: dort konsumiert man als Zuschauer, im Spiel
wird man selbst aktiv. Man entscheidet, ob, wann und wie man einen Gegner
zur Strecke bringt, - vorausgesetzt, man wird nicht aus dem Hinterhalt
überrascht. Ein kleiner Klick mit der Maus und die Sache ist vollbracht.
Was nicht ohne weiteres als verwerflich zu werten ist. Der erfahrene
Adventureheld wird niemanden aus bloßer Lust um die Ecke bringen.
Fast immer bestimmt eine höchst ehrenhafte Aufgabe sein Tun. Hoffe
ich zumindest. Im Fernsehen geht es oft schlimmer zu, und man ist gezwungen,
hilflos zuzuschauen.
Die Wissenschaft weiß übrigens nicht genau, wie sich nun Gewalt
im Computerspiel auswirkt, wenngleich es viele Theorien darüber
gibt. Zweierlei ist aber wichtig: der Computer ist nur eines unter vielen
Medien, die uns tagtäglich beeinflussen. Und dann wirkt jedes Medienangebot
auf jedes Individuum anders. Daß jemand alleine durch ein Computerspiel
zu plötzlicher Gewalttätigkeit neigt, ist so gut wie ausgeschlossen.
Besorgte Eltern und Pädagogen tun gut daran, sich weniger zu sorgen,
als sich vielmehr einmal selbst mit der Materie zu befassen. Die Düsseldorfer
Studie zeigte übrigens auch, daß Eltern nicht die Hauptansprechparter
in Sachen Computerspiele sind. Warum eigentlich nicht? Liegt’s
vielleicht am fehlenden Know How? Spielen macht Spaß, in jedem
Alter, wirklich! Eine Grenze gibt es allerdings: der Aufbau von Feindbildern,
Rassismus, Gewaltverherrlichung, Diskriminierung. Der verantwortungsbewußte
Spieler tut sich so etwas ohnehin nicht an und läßt die Finger
von solchen Machwerken. Genug der schönen Worte. Ich habe noch anderes
zu tun. Die Welt von Anno 1602 will besiedelt werden, und nebenbei wird
es höchste Zeit, das Lands of Lore II- Königreich zu retten
und mich von einem bösen Fluch zu befreien.
Übrigens, wirkliche Konflikte löse ich nach wie vor lieber
mit Worten.
Ute Izykowski.
Die Glocke,2/98
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